nd plötzlich ist Papa tot. „Für Kinder ist es das Schlimmste, einen Elternteil zu verlieren“, sagt Monika D. leise und schaut Jan (13), Henrik (17) und Till (19) an. Die Dattelnerin weiß, wovon sie spricht, denn ihr Mann Markus (44) kam bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ums Leben.

Fünf Jahre sind seitdem vergangen, und mittlerweile gelingt es der Frau mit den langen, blonden Haaren, darüber zu reden. „Wir blicken wieder nach vorne, denn glücklicherweise konnten wir auf einige Engel zählen, die aus Nächstenliebe und Mitgefühl bedingungslos für uns da waren“, erklärt sie und lächelt. Einer dieser Engel heißt Anna Pein vom Verein „Hilfe für verletzte Kinder-Seelen“.

Vater und Sohn waren mit dem Roller unterwegs

Es war ein warmer Sommerabend, als die Welt der fünfköpfigen Familie innerhalb weniger Sekunden zerbrach. „Mein Mann und mein Sohn sind mit dem Roller los, sie wollten bei dem schönen Wetter noch eine Spazierfahrt machen“, erinnert sich die 46-Jährige. Als sich die beiden verspäteten, dachte
sie sich zunächst nichts dabei. Erst als plötzlich zwei Polizisten vor der Tür standen, ahnte sie, dass etwas passiert sein musste.

„Das war wie im Film“, berichtet Monika D. weiter, „sie erzählten, dass es einen Unfall gegeben habe und mein Sohn Henrik schwer verletzt worden sei.“ Sie macht eine Pause. „Von Tod war nicht die Rede. Auch nicht von Markus. Sie haben keine meiner Fragen nach ihm beantwortet. Ich bekam nur
mit, dass einer der Beamten einen Seelsorger angerufen hat.“ Da wusste sie Bescheid.

Auf einer großen Kreuzung in Haltern-Lavesum hatte ein Autofahrer den Roller, der ihm mit 70 km/h entgegenkam, beim Linksabbiegen übersehen und war ihm in die Seite gefahren. Das erklärt auch Henriks schwere Beinverletzungen. Noch extremer hatte es dagegen Markus D. getroffen. „Er schleuderte
über die Straße und rutschte vor eine Ampel.“ Monika D. schluckt. „Die Wucht war zu groß“, schildert sie mit brüchiger Stimme. Und dann sind sie wieder da, die Tränen. Sie greift zu einem Taschentuch.

Wenn die 46-Jährige an diesen Tag zurückdenkt, sind das Entsetzen, die Angst und die Fassungslosigkeit wieder ganz nah. „Ein Teil meines Verstandes sagte, nein, das stimmt nicht, das kann überhaupt nicht sein. Markus lebt noch.“ Gedankenverloren blickt sie in den Garten, den ihr Mann so begeistert gepflegt hat. Und dann war da immer wieder die zermürbende Frage nach dem „Warum?“. Da war die quälende Wut über das, was ihrer Familie
zugestoßen ist. Da war die traurige Gewissheit, fortan ganz allein für ihre drei Jungen verantwortlich zu sein. „Das ist meine schwerste Lebensaufgabe.“

„Irgendwann musste ich mich entscheiden“, berichtet Monika D., „denn ich wollte für Jan, Henrik und Till sorgen. Sie sollten nicht mit einer Mutter aufwachsen, die im Kummer versinkt.“ Die tapfere Frau denkt kurz nach. „Ich entschied mich für das Leben!“ Sie nickt. Wertvolle Unterstützung erhielt die Dattelnerin bei einer professionellen Trauerbegleiterin. „Das kann ich nur jedem empfehlen. Außenstehende haben einen ganz anderen Blick auf die Situation.“

Auch ihre Söhne sollten solch eine Chance bekommen, um den Tod des Vaters besser zu verarbeiten und mit dem Schmerz umzugehen. Jungen und Mädchen, die einen geliebten Menschen verloren haben, sind beim Recklinghäuser Verein „Hilfe für verletzte Kinder-Seelen“ an der Hochstraße in Recklinghausen
an der richtigen Adresse. Zurzeit steht Anna Pein, Fachberaterin für Psychotraumatologie und Familien-Trauerbegleiterin, gemeinsam mit ihrem ehrenamtlichen Team rund 50 Jungen und Mädchen im Alter von vier bis 17 Jahren bei. In den Gruppen können sie reden oder schweigen, zuhören oder kreativ werden. Sie basteln Traumfänger oder gestalten Kerzen, schreiben Briefe an die Verstorbenen, malen für sie Bilder oder erzählen, was sie besonders an ihnen mochten. Da sind der Ruhe-, der Tobe- und ein Wutraum, in dem sie mächtig Dampf ablassen können. An jede Gemütsregung ist gedacht. Ob Theater, Kletterwald oder Kino: Während verschiedener Aktionen kommen sie auf andere Gedanken.

Für Jan war die Gruppe genau das Richtige

Jan, der bei dem Tod seines Papas acht Jahre alt war, fühlte sich in der Gemeinschaft ebenfalls sehr wohl. Seine beiden älteren Brüder machten
das Geschehene dagegen mit sich selbst aus. „Das muss jeder für sich entscheiden“, betont Monika D., „denn jeder erlebt Trauer anders.“ Doch für Jan sei es genau das Richtige gewesen. „Die Gruppe hat ihm gutgetan“, weiß sie, „und auch ich habe dort nette Menschen kennengelernt, mit denen ich heute
noch befreundet bin.“ Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Ihr Sohn erinnert sich ebenso gerne an diese Zeit: „Es war cool“, meint er. Dass sein Vater nicht mehr da ist, habe er jetzt akzeptiert. „Er fehlt uns trotzdem jeden Tag“, sagt der 13-Jährige ernst. Aber zumindest tut es nicht mehr so weh.